Im Jahr 1854 wurde sie eröffnet, die Strecke über den Semmering. Erdacht von Ritter Carl von Ghega, der für diese Meisterleistung nicht nur geadelt, sondern auch mit einen Denkmal im Bahnhof Semmering geehrt wurde. Die Strecke gehört zur Südbahn und war von Anfang an eine wichtige Magistrale. Mit 42 km Länge ist sie genau doppelt so lange wie die Luftstrecke zwischen Glognitz auf der einen und Mürzzuschlag auf der anderen Seite. Sie schlängelt sich entlang der Berghänge, überquert Schluchten auf imposanten Viadukten und verschwindet immer mal wieder in einen der zahlreichen Tunnel. Auch heute noch ist die Fahrt über den Semmering ein Erlebnis, wenn auch keine so spektakuläre als zu Zeiten der Dampfloks und des Orient Express.
Eine so wichtige und ehrwürdige Bahnstrecke sollte also auch mit absoluter Hingabe digitalisiert werden. Leider hat sich aber Dovetail Games selbst dieser angenommen und wir alle wissen, dass dabei maximal mittelmäßige Qualität herum kommen kann. Meine Erwartungen rangierten also eher im Kleinbahnhof, statt in Wiener Neustadt Hbf. Dort beginnt unsere Reise und die von DTG umgesetzte Strecke nämlich. Wir dürfen also nicht nur die 42 km über den Semmering befahren, was durchaus überraschend ist. Wenig überrascht dann aber die Ausstattung beim Rollmaterial.
Eine neue Lok oder Triebwagen? Fehlanzeige! Man hat endlich die Taurus in ÖBB-Farbkleid begelegt und dezent überarbeitet. So hat sie den modernen Führerstand erhalten, der eigentlich erst ab 1216 (ES 64 U4) verbaut wurde. Inzwischen bekommen den aber auch 1116 (ES 64 U2) bei der fälligen Hautuntersuchung bzw. wenn sie für ECTS ertüchtig werden. Die setzt DTG für Güter- und Personenzügen ein. Das ist ganz okay. Nicht okay ist, dass man nur den 2.-Klasse-Abteilwagen modelliert hat. Zwar laufen in ÖBB-IC schon lange keine Speisewagen mehr mit, aber 1.-Klasse -und Großraumwagen fehlen nie. Meist führen sie auch noch eine Halbgepäckwagen für den Fahrradtransport mit. Dieser Mangel dürfte die wenigsten verwundert, inzwischen ist das bei DTG leider Standard.
Unverschämt wird es aber, wenn man einen Blick in den Fahrplan wirft. Dort tauchen nämlich auf Verbindungen mit dem Kürzel RJ auf. Das steht für den RailJet der Quasi in Österreich das ist, was ICE in Deutschland oder TGV in Frankreich. Ein Prestige-Hochgeschwindigkeitszug. Anders als bei DB und SNCF sind diese Züge in Österreich keine Triebwagen, sondern Wendezüge, die mit einer Taurus (1116 oder 1216) bespannt werden. Bei den Wagen handelt es sich um eine festgekuppelte Zugkomposition (Married Pair). DTG dachte, diese könnte man ja einfach durch die Lok mit dem einzelnen Wagen ersetzten.
Ansonsten bekommt man den von der S-Bahn Vorarlberg bekannten 4024 (Talent). Doch der wird am Sermmering gar nicht eingesetzt. Da kommt die Baureihe 4023 zum Zug. Die ist quasi identisch, hat aber einen Wagen weniger. Man hätte also nur einen Mittelwagen entfernen und die Zugnummern entsprechend anpassen müssen, um diesen nachzubilden. Dafür braucht man kaum länger als 15 Minuten. Logisch, dass man dann für eine Neubemalung im inzwischen üblichen CityJet-Design erst recht keine Zeit hatte. Oh, und wehe dem, der sich den 4744 (Desiro ML) erwartet, der inzwischen dort zum Alltag im Nahverkehr gehört…
Die Strecke entspricht dem aktuellen Zustand inklusive der Zufahrt zum im Bau befindlichen Semmering-Basistunnel. So wird der Semmering inzwischen auch im Rechtsverkehr überquert. Das ist neu, denn er wurde lange Zeit noch im Linksverkehr befahren, als andere Strecken längst umgestellt waren. Die Umstellung war aber reine Formsache, denn seit Jahren sind beide Gleise so signalisiert, dass sie in beiden Richtungen befahren werden können. Bei einer Störung kann man also problemlos auf das Gegengleis ausweichen und die Beeinträchtigung so minimieren. Für Bahnreisende, die nur die Deutsche Bahn kennen, ist das freilich ein atemberaubendes und revolutionäres Konzept.
Die Strecke ist also durchaus realitätsnah nachgebildet und viele markante Bauten vorhanden. Doch halt, was ist das? Bei meiner ersten Einfahrt im Bahnhof Semmering springt es mir quasi ins Gesicht: der Triebwagen beim Ghega-Denkmal fehlt! In Realität steht dort rechts davon ein alter ÖBB-Triebwagen 5144, einer von vier gebauten. Diese befuhren zwischen 1951-93 die Strecken von Wein- und Waldviertel und zwischen Wien und Wiener Neustadt. Er gehört zwar nicht zum Denkmal, ist aber inzwischen nicht mehr aus dem Bahnhofsbild wegzudenken. Um dem Fehlen noch eine Krone auszusetzen, hat DTG das kurze Gleisstück auf dem der Triebwagen steht, sehr wohl nachgebildet. Das ist dann an Frechheit kaum mehr zu überbieten.
Der Rest meienr Fahrt verlief dann auch ziemlich ereignislos. Alles im allem ist die Semmeringbahn schon wiederzuerkennen und die meisten markaten Bauten auch zumindest angedeutet. Das geht also scchon in Ordnung. Trotzdem bleibt ein bitterer Nachgeschmack und DTGs halbherzige herangehensweise an das Thema Simulation offensichtlich.
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